SCHREIBEN SIE LIEBER DREHBÜCHER ODER ROMANE?

 

 

 

Da ich es immer wieder gefragt werde – Was schreiben Sie lieber, Drehbücher oder Romane? – möchte ich es hier in einer Kürze beantworten, die nicht jeder Ausnahme gerecht wird und natürlich äußerst subjektiv ist.

 

 

Erzählebenen

 

Das große Plus des Filmes ist seine Informationsdichte, da er audiovisuell erzählt. Während wir Bilder sehen, manchmal nur kleine Fetzen, die Assoziationen etc. auslösen, hören wir natürlich Geräusche, Musik und Dialoge. Das alles, zu einem homogenen Ganzen komponiert, zielt direkt auf unseren Bauch.

Film kann m. E. mit einer schnelleren und größeren Wucht erzählen, es ist ein Gesamterlebnis und bespielt mehrere unserer Sinne gleichzeitig.

Diese Wucht, muss ich einschränkend hinzufügen, entfaltet er vor allem im Kino. Mit überlebensgroßen Bildern, mit einer Lautstärke wie auf einem Konzert – nicht aber, wenn jemand beim Bügeln den „Tatort“ schaut und nebenbei telefoniert.

Die Umsetzung meiner Drehbücher läuft aber überwiegend im Fernsehen.

Film gibt Informationen auf mehreren Ebenen gleichzeitig weiter, der Roman bleibt auf einen Kanal beschränkt.

 

 

Verfügbare Erzählzeit

 

Als Geschichtenerzähler begrenzt das Drehbuch mich allerdings, wo mir der Roman Freiheit gewährt.

 

90 Minuten sind ein enger zeitlicher Rahmen, sowohl für eine komplexe Geschichte wie auch für eine differenzierte Figurenzeichnung. Manchmal zu eng, um beides bis hinab zu allen Nebenfiguren und Nebensträngen zu leisten.

 

Der Roman ist dagegen in seiner Länge variabel.

 

 

Film hat ein Tempo für alle,

der Roman das angemessene Tempo für jeden

 

Je länger ich als Drehbuchautor arbeite, desto öfter begegne ich Redaktionen, die das Drehbuch im Sinne der Verständlichkeit maßregeln und verflachen – der Zuschauer (auch der bügelnde, nebenbei telefonierende) muss zu jedem Zeitpunkt der Handlung alles verstehen und begreifen, weil er – und das stimmt – sonst vermutlich „raus“ ist.

Das führt mittlerweile bei diesen Redaktionen auch dazu, dass eine Hauptfigur z. B.  möglichst nicht mehr Dinge unternimmt, die man erst fünf Minuten später erfasst (da könnte sich ja Suspense entwickeln), sondern es wird darauf gedrängt, dass immer klar ist, was die Figur, denkt, fühlt und plant und auch warum das so ist. Und natürlich, dass das dialogisiert wird.

 

Der Roman hat den Vorteil, dass er nicht alle Leser in ein für alle identisches Zeitkorsett zwingt. Jeder liest mit seinem Tempo und kann – wenn was unklar ist – zurückblättern.

Die Erfordernisse, die manche Redaktionen einfordern, sind im Roman so nicht gegeben.

 

 

Begrenzung des Erzählbaren durch Kosten

 

Das Budget beim Film ist begrenzt.

Vieles von dem, was man erzählen möchte, ist oftmals vom Etat her nicht zu stemmen. Streichungen kurz vor Dreh (von denen man dann bei der Premiere erfährt) sind eher die Regel, denn die Ausnahme.

 

Im Roman kann ich 20.000 Ritter losziehen oder eine ganze Stadt brennen lassen, ich kann mir im Großen wie im Kleinen buchstäblich alles leisten. Ich brauche kurz ein paar Außerirdische? Kein Problem.

 

Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch eine Lanze brechen – nicht für Streichungen hinter dem Rücken der Urheber, natürlich, sondern zu der Arbeitsweise, zu dem die zeitliche und budgetäre Begrenzung den Drehbuchautor in der Regel zwingt: Man muss viel ökonomischer und präziser und oftmals einfallsreicher arbeiten, um die Geschichte, die einem am Herzen liegt, vor den Limitierungen, die das Medium mit sich bringt, zu schützen.

Also: Wie charakterisiere ich eine Hauptfigur nicht auf zehn Seiten, sondern in zehn Sekunden?

Wie vereinfache ich eine Szene, die viel zu teuer ist, erhalte dabei aber ihren dramaturgischen Kern und ihre erzählerische Güte?

Es geht, grob gesagt, um jene präzise Verknappung, die die geringste Qualitätsminderung mit sich bringt.

Dieses über Jahre an vielen Projekten mit verschiedenen Partnern und immer neuen Erfordernissen und Rahmenbedingungen zu praktizieren, schult den Blick, und in diesem Sinne bin ich froh über die Erfahrungen, die ich da machen durfte.

 

 

Die Innenansicht der Figuren - Gedanken, Gefühle und Motivationen

 

Innerliche Befindlichkeiten der Figuren lassen sich im Roman eleganter einweben, d. h. im Film benötige ich für die Innensicht einer Figur entweder den Dialog über diese Figur, durch diese Figur oder eine Voice-Over, die nicht bei allen Filmschaffenden auf Gegenliebe stößt. Ich würde sogar sagen: bei den wenigsten.

 

Im Roman wirkt diese Innenansicht homogener. Ich kann Gedanken über ein Thema, eine andere Person, einen Sachverhalt oder auch Gefühle usw. schlüssig und unauffällig einweben und so einen Charakter äußerst differenziert gestalten.

Film taugt dazu aus Sicht des Autoren nur bedingt. Indirektes Erzählen über geeignete Bilder ist ungenauer und zeitaufwändiger, als im Roman einfach das treffende Adjektiv zu benennen bzw. einen treffenden Satz.

 

Er stand am Fenster und dachte an Afrika ist im Roman ganz schnell erzählt.

 

Im Film muss er

-       vorher mit uns ins Afrika gewesen sein, dann können wir vielleicht assoziieren, dass er jetzt an Afrika denkt. Wer ganz sicher gehen will, lässt ihn traurig auf die kleine, einarmige oder anderweitig kaputte Puppe (symbolisiert Armut!) starren, die die arme Halbwaise (ARD, Freitagabend) oder Vollwaise (ZDF, Sonntagabend) ihm noch mitgegeben hat.

-      einen Stützdialog bekommen, z. B. von seiner Frau: Schatz, was machst du gerade?Ich denke gerade an Afrika. Oder: Schatz, woran denkst du? – An Afrika. (Wenn es eine Komödie ist, fragt sie ihn das nach einem Schäferstündchen im Bett)

-       einen Stützdialog, der von ihm ausgeht: Du glaubst nicht, woran ich gerade denke. – Etwa an Afrika? – Genau.

-       sich via Voice-Over an uns wenden: Da stand ich also am Fenster und dachte an Afrika.

-    einen Flashback bekommen. Also wird der Flash vielleicht schon durch den Ton eingeleitet, dann gibt es eine Transition auf der Bildebene (Unschärfe / Abblende / Zufahrt auf die Augen usw.), dann die Szene in Afrika, und danach sind wir mit einer weiteren Transition wieder zurück.

-       Nelson Mandela sein.

 

Alle Herangehensweisen funktionieren, die eine besser, die andere weniger gut aber alle sind umständlicher und zeitraubender als der Satz im Roman: Er stand am Fenster und dachte an Afrika.

 

 

Entscheidungshoheit und Homogenität der Geschichte

 

Wer meint, er sehe im Fernsehen den Film, der im Kopf des Autors ablief, als er das Drehbuch schrieb, irrt.

Im Roman ist das anders, da liest man das Original.

 

Das liegt an zwei Dingen. Erstens: An der Menge der Menschen, die auf das Werk noch Einfluss nehmen und zweitens am unterschiedlichen Verständnis von Urheberschaft.

Im Verlag nimmt in der Regel der Lektor noch Einfluss auf das Drehbuch, aber der Autor hat unmissverständlich das letzte Wort, denn es ist seine Schöpfung.

Im Film nehmen in der Regel noch der Produzent, der Producer, der Dramaturg, der Regisseur, der Redakteur, der Fernsehfilmchef und manchmal auch der Schauspieler Einfluss auf das Drehbuch, aber dabei ist auch unmissverständlich klar, dass der Autor nicht das letzte Wort hat.

Was in seinem Drehbuch (und in seinem Namen) geschieht, bestimmen im Zweifelsfall andere.

Das ist immer dann toll, wenn das die Geschichte verbessert. Und es ist immer dann bitter, wenn es die Geschichte verschlimmbessert.

 

Jeder trägt eine kaputte Uhr zum Uhrmacher und käme niemals auf die Idee, sich selbst an den kleinsten Stellschrauben zu schaffen zu machen. Beim Drehbuch hält sich dagegen jeder für befähigt.

Manchmal trifft das zu, öfter nicht.

Der Vorteil des Romans ist, dass man gute Ratschläge annehmen und schlechte ablehnen kann. Im Drehbuch gibt es diesen „Luxus“ meist nicht.

 

Natürlich ist eine Geschichte um so homogener, je weniger Köche ihre Zutaten ungefragt in die Suppe schütten. Ich spreche von der Handschrift, dem Stil.

Ist er klarer definiert, wenn er aus einer Feder stammt oder wenn fünf Autoren hintereinander Hand angelegt und dabei von diversen an der Produktion Beteiligten Ratschläge erhalten haben?

Okay, das war eine Suggestivfrage.

Hier ist der Roman deutlich im Vorteil.

 

 

Jeder ist ersetzbar – aber nur beim Film

 

Wer im Drehbuch oder Exposé zu unbequem ist, berechtigt oder nicht, seine Geschichte in Schutz nimmt, angemessen oder übertrieben, kann kurzerhand aus dem Projekt fliegen. Dann kommt ein Kollege an Bord – wenn er eine gute Kinderstube hat, ruft er vorher an – und ersetzt ihn. Er nimmt jene Einschnitte an meiner Geschichte, an meinen Figuren, an meinen Dialogen vor, die ein anderer als nötig erachtet.

Manche Kollegen empfinden das als Ohnmacht, andere sagen, es wäre, als vergewaltige jemand ihr Kind, aber wie auch immer, ich kenne wirklich keinen einzigen Drehbuchautoren, der damit ein positives Gefühl verbindet.

 

In einer Romanentwicklung käme kein Verlag auf die Idee, den Erfinder von Geschichte und Figuren zu ersetzen. Das geht u. a. auch aus der Betrachtung der untrennbaren Einheit von Werk und Autor hervor.

Dazu muss ich ergänzen, dass sich die literarische und die filmische Branche in punkto Umgang mit dem Urheber grundsätzlich unterscheiden. Die eine geht zivilisierter mit ihm um als die andere.

 

 

Um die Eingangsfrage zu beantworten: die Arbeit an Romanen

bietet mehr erzählerische Freiheit, angenehmere Umgangsformen

und verändert nicht den „Originalfilm“.

 

 

PS: Kurz vor Dreh, wenn wieder gekürzt werden muss, fragt der Produzent / Redakteur / Regisseur / Herstellungsleiter: He, Leute, ist es eigentlich wichtig, dass der Typ an Afrika denkt? Wollen wir diese bescheuerte Fensterszene nicht einfach streichen?

Tja, und deswegen stehen in den Filmen so wenige Menschen an Fenstern und denken an Afrika.