AM ENDE BEGINNEN

 

 

Es gibt Autoren, die schreiben drauflos, lassen der Geschichte ihren Lauf und haben am Ende ein großartiges Drehbuch in den Händen, das ihnen von Produzenten meistbietend aus den Händen gerissen wird.

Diese von der Muse und dem Talent Dauergeküssten wohnen im Olymp der Drehbuchautoren.

Im Olymp ist bekanntlich wenig Platz, deswegen besteht die überwiegende Mehrheit der Drehbuchautoren aus japsenden Sterblichen, die dramaturgische und handwerkliche Stützräder benötigen, um in vertretbarer Zeit ebenfalls zu einem Ende zu kommen.

 

Eines dieser Stützräder besteht darin, sich darüber klar zu werden, wo die Geschichte enden soll. Dieses Vorgehen birgt eine Menge Vorteile.

 

Wenn ich weiß, wo meine Hauptfigur am Ende steht und ich keine statische Figur à la James Bond erzähle, sondern eine, die sich entwickelt, dann habe ich automatisch einen Anhaltspunkt, wie sie zu Beginn der Geschichte sein muss.

 

Dieser Entwicklungsbogen, den meine Figur vom Beginn des Filmes bis zum Ende zurücklegt, gibt wiederum Aufschluss über eine angemessene Struktur der Geschichte und auch ihrer Wendepunkte.

 

Wenn Bill Murray in Und täglich grüßt das Murmeltier am Ende ein überzeugter Menschenfreund sein soll, der seine Mitte gefunden hat, dann ergibt sich aus einem möglichst großen Entwicklungsbogen für den Beginn der Geschichte das Gegenteil. Und so ist Bill Murray, als man ihn kennenlernt, ein Zyniker und Egozentriker, der nicht geliebt wird, weil er selbst nicht liebt.

Der Film erzählt seine Wandlung und Läuterung.

 

Weitere Erkenntnisse über die Struktur und den Protagonisten ergeben sich, wenn ich festlege, was am Ende mit dem Antagonisten geschieht. Häufig verliert er einen Showdown und wird aus Nachlässigkeit innerhalb der gesamten Handlung oft auf seine funktionale Dimension begrenzt (nämlich, es dem Protagonisten möglichst schwer zu machen).

Der Antagonist ist ein in der Film- und Romanwelt mehrheitlich so stiefmütterlich behandelter Charakter, dass dies Anlass genug ist, mich beim nächsten Mal hier mit ihm – oder ihr! – auseinanderzusetzen.

 

Mini-Exkurs: Protagonist und Antagonist verfolgen konträre Ziele, denn nur so geraten sie in einen Konflikt miteinander. Anders gesagt: Ein Knochen und ein Hund ist langweilig. Ein Knochen und zwei Hunde – ist Drama!

Luke Skywalker ohne Darth Vader ist so spannend wie Martin Brody ohne den Weißen Hai, wie Ripley ohne das Alien und Deckard ohne Roy Batty.

Mit ihrem Kontrahenten an Bord können wir ihre Bedürfnisse und Ziele viel leichter offenlegen – manchmal sogar zu ihrer eigenen Überraschung. Aber das ist wirklich ein eigenes Thema.

 

Habe ich den Endpunkt des Antagonisten festgelegt, weiß ich, wo er ungefähr am Anfang steht und wie er zwangsläufig die Geschichte meines Protagonisten kreuzt (da er das entgegengesetzte Ziel verfolgt – das Alien etwa hat den etwas archaischen Plan, alle Besatzungsmitglieder der Nostromo zu töten, woraus sich schon das ebenso archaische Ziel der Protagonisten ergibt: Überleben).

Je archaischer das Ziel, desto massentauglicher die Geschichte (auch das ist eine eigene Betrachtung wert, glaube ich).

 

Diese sich aus den unterschiedlichen Zielen ergebenden Konfrontationen von Pro- und Antagonist geben ebenfalls einen zeitlichen und erzählerischen Rhythmus vor, der sich erneut auf die Struktur niederschlägt.

 

Das Ende der Geschichte zu kennen, hat nicht nur Auswirkungen auf die Gestaltung der Figuren, sondern auch auf den Plot.

Denn alles, was dort passiert, muss vorher etabliert werden, weil es sonst nicht seine beabsichtigte Wirkung entfalten kann. Das Punkt für Punkt durchzuspielen, würde den Rahmen hier sprengen.

Aber wenn man sich vorstellt, dass Rocky am Ende in einen Rollstuhl geprügelt wird, Bambi als Rehbraten in der Dorfgaststätte endet oder die Jungs aus Brokeback Mountain heiraten und eine Horde Kinder adoptieren, ist wohl klar, dass sich das umgehend auf den Plot auswirkt.

 

 

Wenn ich beim Strukturieren einer Geschichte ins Stocken gerate, ist der Blick aufs Ende ein Mittel, das bei mir meistens funktioniert. Aber auch gnadenlos offenbart, wenn ich mir bisher zu wenige Gedanken um die Geschichte und meine Figuren gemacht habe.

Es öffnet darüber hinaus auch den Blick dafür, was man eigentlich – neben einer fesselnden Geschichte – erzählen möchte. Ich meine das Thema.